30.09.2011

Eine neue Studie der Bertelsmann Stiftung stellt fest, dass im Schuljahr 2009/2010 nur 20 Prozent aller Kinder und Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf eine Regelschule besuchten. Der Ausbau inklusiver Bildungsangebote kommt in Deutschland in zahlreichen Bundesländern nur schleppend voran.

In Deutschland räumt die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen den betreffenden Personen einen Rechtsanspruch auf inklusive Bildung ein. Dennoch wird die  große Mehrheit der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf weiterhin in separaten Förderschulen unterrichtet. Dabei wäre der gemeinsame Unterricht von Kindern mit und ohne Einschränkung so wichtig, da die Lernerfolge im getrennten Unterricht nur unzureichend sind. 76 Prozent der Förderschüler erreichen keinen Hauptschulabschluss und der Anteil von Kindern mit diagnostiziertem Förderbedarf steigt weiter. Zwar können die Jugendlichen spezielle Förderschulab¬schlüsse erwerben, aber bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz hilft ihnen das nicht. Wissen¬schaftliche Untersuchungen entschärfen etwaige Vorurteile und zeigen, dass gute Schüler in inklusiven Bildungseinrichtungen leistungsmäßig nicht abfallen, aber ihre sozialen Kompetenzen stärken.

Obwohl Inklusion eines der dringlichsten Probleme im deutschen Schulsystem ist, erfolgt der Ausbau inklusiver Bildung laut Jörg Dräger, Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung des Bereichs Bildung, viel zu langsam. Er ist Autor des am 29. August erschienenen Buches „Dichter, Denker, Schulversager“. Das schleppende Ausbautempo stellt Schüler und ihre Eltern vor Probleme. Denn inklusive Bildung endet zu häufig nach der Kita. Während in den Kindertageseinrichtungen im Bundesdurchschnitt 68 Prozent der Kinder mit Förderbedarf gemeinsam mit Gleichaltrigen eine inklusive Einrichtung besuchen, sinkt ihr Anteil in Grundschulen auf 35 Prozent und in den weiterführenden Schulen auf bundesweit nur 17,2 Prozent.

Einige Bundesländer zeigen, dass es zumindest in der Grundschule besser geht. So werden in Bremen 89 Prozent der Kinder mit Förderbedarf inklusiv unterrichtet. Schleswig-Holstein und das Saarland kommen immerhin auf über 70 Prozent. Brandenburg, Berlin und Baden-Württemberg stehen mit um die 50 Prozent ebenfalls nicht schlecht da. Die anderen Bundesländer weisen Werte auf, die zum Teil deutlich unter dem Bundesdurchschnitt liegen. Die Schlusslichter Hamburg und Bayern haben da mit circa 20 Prozent schlechte Karten. An den weiterführenden Schulen ist der Mangel an gemeinsamen Unterrichtsangeboten mit Abstand am größten. Hinter dem Spitzenreiter Schleswig-Holstein mit 47 Prozent gelingt es auch in Berlin und in Brandenburg viele förderbedürftige Jugendliche in Regelschulen zu unterrichten. Mecklenburg-Vorpommern, das Saarland und Thüringen weisen Inklusionsanteile auf, die um die Hälfte geringer sind. Den niedrigsten Inklusionsanteil bei den weiterführenden Schulen weisen Nordrhein-Westfalen, Hessen und Sachsen-Anhalt auf.

Bei einem Blick auf die einzelnen Förderschwerpunkte ergeben sich weitere extreme Länderunterschiede. Im Förderschwerpunkt Lernen beispielsweise schwanken die Inklusionsanteile zwischen 2 Prozent in Sachsen und 60 Prozent in Bremen. Im Förderschwerpunkt Sehen werden in Schleswig-Holstein alle Kinder inklusiv unterrichtet, in Bayern nur 11,9 Prozent. Die großen Unterschiede zeigen Dräger zufolge, dass mehr Inklusion machbar ist, wenn sie gewünscht wird. Jetzt gilt es, Schulen dafür auszustatten, und Eltern sowie Pädagogen dafür zu gewinnen. Die Qualität der neu geschaffenen inklusiven Bildungsangebote muss allerdings mit dem Ausbautempo Schritt halten, denn Quantität allein hilft nicht weiter. Damit kein Kind im Bildungssystem zurückbleibt und bei Eltern und Pädagogen Akzeptanz für Inklusion steigt, ist mehr Transparenz über die Qualität der Angebote unbedingt von Nöten.